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Kommunale Sperrklausel: Kleine Parteien kämpfen gegen die Großen

Ab Dienstag geht es ums Ganze: Dann beginnen vor dem Landesverfassungsgericht die Verhandlungen über die kommunale Sperrklausel. Kleine Parteien wie die Piraten und die ÖDP kämpfen in Münster darum, dass die 2,5-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen in NRW gekippt wird – sonst droht ihnen der Quasi-Ausschluss aus Kommunal- und Kreisparlamenten.

“Es kann nicht sein, dass wir wir den Willen der Menschen auf der niedrigsten Ebene, die wir haben, einfach wegschmeißen”, sagt Michele Marsching von den Piraten im Gespräch mit den Wiedertäufern. Gerade in den Räten seien vor Ort verwurzelte Einzelvertreter und Wählervereinigungen wichtige Vertreter von Partikularinteressen – ganz im Sinne der Demokratie. Auch deswegen gehören die Piraten zu den Parteien, die ein Organstreitverfahren gegen die kommunale Sperrklausel angestrengt haben. Am Dienstag wird das Landesverfassungsgericht (LVG) am Aegidiikirchplatz in der Sache zu befinden haben. Neben den Piraten haben die NPD, die Linkspartei, die Partei, die ÖDP und die Tierschutzpartei sowie der Bürgerbewegung Pro NRW und die Freie Bürger-Initiative/Freie Wähler gegen die vom Landtag beschlossenen Verfassungsänderung geklagt. Mit der Klausel würde ein Großteil der Kleinparteien aus den Stadt- und Kreisparlamenten fliegen. SPD, CDU und Grüne hatten im vergangenen Jahr eine 2,5-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen eingeführt. Ihre Begründung laut Gesetzentwurf: Durch die “Zersplitterung der Kommunalvertretungen” sei die Handlungsfähigkeit der Räte beeinträchtigt. Sitzungen könnten sich beispielsweise “in einem unvertretbaren Maß in die Länge ziehen”. Der Pirat Marsching, bis zur Landtagswahl noch Fraktionsvorsitzender seiner Partei, hält das Argument für vorgeschoben: “Es gibt keinen einzigen handlungsunfähigen Rat und keinen Beleg dafür, dass es durch die Vielzahl der Parteien dazu kommen könnte.” Auch die Länge der Sitzungen sei kein Argument für die Sperrklausel. Nicht zuletzt gehe es um “Bequemlichkeit und Besitzstandswahrung”.

Rechtsexperten skeptisch

Das LVG hatte die kommunale Sperrklausel im Jahr 1999 – damals noch bei fünf Prozent – für unzulässig erklärt. Offenbar sehr zum Unmut der “etablierten” Parteien: Sie scheiterten bereits 2008 mit dem Versuch, die kommunale Sperrklausel erneut einzuführen – wieder vor den Richtern in Münster. Wohl auch in diesem Wissen änderten SPD, CDU und Grüne im letzten Jahr gleich die Verfassung, um das LVG zu umgehen. Die Furcht vor einer gerichtlichen Überprüfung scheint nicht unberechtigt. Während die kommunalen Interessenverbände die geplante Regelung unisono befürworteten, sind Rechtsexperten skeptisch. Schon in den Anhörungen zum Gesetzentwurf zeichneten sich in den entsprechenden Stellungnahmen erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit ab. Die Einführung der Klausel könne nicht mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung zu sichern, erklärte Prof. Dr. Janbernd Oebbecke (Westfälische Wilhelms-Universität Münster). Die kommunale Selbstverwaltung funktioniere in der großen Mehrzahl der Städte und Kreise. Die derzeitige Lage in NRW rechtfertige die Einführung einer Sperrklausel nicht, meinte auch Prof. Dr. Urs Kramer (Universität Passau). Die “Schwerfälligkeit in der Meinungsbildung” dürfe der Gesetzgeber nicht mit einer Funktionsstörung oder Funktionsunfähigkeit gleichsetzen. Ähnlich äußerte sich Prof. Dr. Hinnerk Wißmann (Westfälische Wilhelms-Universität Münster). Der Gesetzentwurf genüge nicht “den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an die Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit in Bezug auf Kommunalvertretungen gestellt werden”.

Ein Fall für Karlsruhe?

“Der Landtag kann aber keine Vorschriften des Grundgesetzes außer Kraft setzen, indem er einfach das Gegenteil in seine Landesverfassung schreibt”, argumentiert auch der Verein Mehr Demokratie. “Ein unglaublicher Angriff auf unsere Demokratie und ein klarer Schlag ins Gesicht von lokalen Interessengruppen und Parteien, die sich, wie auch die ÖDP, bereits an vielen Stellen etabliert haben”, erkärte ÖDP-Landeschef Benjamin Jäger und sprach von einem “offenen Verfassungsbruch mit Ansage”. Letztlich stellt sich die Frage, inwieweit die Richter in Münster überhaupt in der Sache befinden können. “Wir wissen nicht, ob sich das LVG als nicht zuständig erklärt”, meint Masching. “Die Verfassung kann ja nicht gegen die Verfassung verstoßen. Dann geht es nach Karlsruhe!” Viele Experten teilen die Ansicht, dass die Zuständigkeit eher beim Bundesverfassungsgericht liegt, das als Sperrklausel-kritisch einzuschätzen ist. Schließlich hatte das höchste deutsche Gericht erst die Fünfprozent- und dann die Dreiprozent-Hürde bei Europawahlen für nichtig erklärt. Bis Karlsruhe im Fallesfall entscheidet, dürfte jedoch einige Zeit vergehen. Die nächsten Kommunalwahlen im Jahr 2020 wären dann womöglich ungültig.

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